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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Ein Gang durch 700 Jahre gemeinsamen Lebens

Emanzipation und Assimilation: Das 19. Jahrhundert bis 1870

Salomo Heinrich Michaelis, Verleger, Hochschullehrer und politischer Schriftsteller – Ein Lebensbild

Michaelis ist ein Beispiel für die schwierigen Anfänge, für das Scheitern der Emanzipation. In seiner Generation gelang nur ganz wenigen Juden der Schritt heraus aus der Enge der jüdischen Welt.

Sein Leben in Stichworten:
1768 in Hameln geboren, mit 10 Jahren Waise, einige Jahre bei Verwandten in Polen, Studium in Berlin, anschließend zunächst Hauslehrer, dann in Mecklenburg-Neustrelitz Hofbuchhändler und erfolgreicher Verleger (er verlegt u. a. Werke von Schiller, Wilhelm von Humboldt), nach einigen Jahren in Paris Lektor für Französisch an der Universität Heidelberg, dann ordentlicher Professor für deutsche und französische Literatur in Tübingen, Übertritt in den württembergischen Staatsdienst mit Tätigkeit als Zensor und politischer Publizist, Kampf auf Seiten des Fürsten gegen Aufklärung und demokratische Bestrebungen, 1844 gestorben.

Titel des Buches Geist und Charakter der französischen Sprache und Literatur, 1808
Titel des Buches Geist und Charakter der
französischen Sprache und Literatur, 1808

Eine beachtliche Karriere. Michaelis ist es gelungen, in kultureller Hinsicht zum Deutschen zu werden, den Schritt heraus aus der Enge der jüdischen Welt zu tun, etwas, was in seiner Generation nur ganz wenigen gelang. Doch welchen Preis musste Michaelis bezahlen?

Michaelis suchte erfolgreich und viel früher als seine Glaubensgenossen den Status des Gebildeten. In der deutschen und französischen Sprache, in Literatur und Kunst war er zu Hause und entsprach damit dem herrschenden Bildungsideal. Seine Bildung war mühsam erkämpft. Erst spät, auf der Universität in Göttingen, öffnete sich dem jungen Mann die deutsche Bildungswelt. Trotzdem eignete sich Michaelis offensichtlich eine gründliche Bildung an. Er entsprach nicht dem später verbreiteten Zerrbild des wirtschaftlich reichen Juden, der mit seiner Bildung prahlte und deswegen zum Spottbild wurde.

Auf der anderen Seite erlebte Michaelis immer wieder harte persönliche Zurückweisungen; ein Beispiel ist Schiller, der den "Judenbuchhändler" nach anfänglicher Euphorie heftig ablehnte.

In vielen seiner Handlungen zeigen sich Merkmale eines unbedingt zum Aufstieg entschlossenen Menschen. Zu denken ist an seine Unterwürfigkeit, an den Eifer, mit dem er Umgang mit den Fürsten sucht. Die christlich-adelige Hofwelt in Neustrelitz wie in Stuttgart zieht ihn magisch an.

Der starke Wille zum Aufstieg und die hohe Bereitschaft zur Anpassung führten zu tiefen Brüchen im Leben von Michaelis. Zunächst betätigte er sich als Verleger junger und kritischer Autoren, schließlich ging er in den Staatsdienst als Zensor. Politisch stand Michaelis spätestens seit seiner Stuttgarter Zeit auf der Seite der Reaktion und engagierte sich auf Seiten der Fürsten gegen die Aufklärung. Im Absolutismus sah er das Bollwerk gegen die unseligen Kräfte der Demokratisierung in Deutschland.

Dem gesellschaftlichen Aufstieg hat Michaelis sein Judentum zum Opfer gebracht. Er trat in Heidelberg offiziell zum protestantischen Glauben über. Es muss offen bleiben, wie weit das aus einer inneren Entschiedenheit geschah. Dass Juden zum Christentum übertraten, war in der Generation von Michaelis noch selten. Juden, die Staatsämter oder Professuren anstrebten, hatten jedoch keine andere Wahl. Juden wurden damals im Staatsdienst grundsätzlich nicht geduldet. Vor 1848 ist in Deutschland kein einziger Jude zur Professur zugelassen worden.

In der Hoffnung auf eine vollständige gesellschaftliche Akzeptanz hat Michaelis einen klaren Bruch mit seiner jüdischen Herkunft vollzogen. Wir hören nichts davon, dass er noch einmal Kontakt zu seiner Familie in Hameln hatte. Er gab die eigene Identität auf und verband sich mit der reaktionären Kultur der Fürstenhöfe. All dies prägt dem Leben von Michaelis für seine Zeitgenossen einen zwiespältigen Charakter auf und verleiht ihm aus der Rückschau eine tragische Dimension.

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© Bernhard Gelderblom Hameln