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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Der jüdische Friedhof in der Scharnhorststraße

Ein Gang über den Friedhof

Nach der gesetzlichen Emanzipation (1866)

Mit der Zugehörigkeit Hannovers zu Preußen im Jahre 1866 erreichten die Juden in Hameln die volle Gleichstellung. Der berufliche und gesellschaftliche Aufstieg der Juden gelang nun sehr schnell.

Die Juden verstanden sich als Deutsche mosaischer Konfession. Auf religiösem Gebiet befand sich das deutsche Judentum in einer raschen Entwicklung. Innerhalb von zwei bis drei Generationen wuchs es heraus aus stärkster religiöser Gebundenheit hin zur Möglichkeit völliger Lösung von der jüdischen, ja von jeder Religion, und auch der damals häufige Übertritt zum Christentum war kein religiöser Akt, sondern das "Eintrittsbillett" in die bürgerliche Gesellschaft.

Die Grabsteine verlieren zunehmend ihre jüdischen Eigentümlichkeiten und gleichen sich denen der christlichen Umgebung in Formensprache und Material an.

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L 7

Adolf Frank, gestorben 1872

Adolf Frank war Getreidehändler und Bankier. Er saß im Vorstand der Hamelner jüdischen Gemeinde und war Mitglied der Handelskammer in Hannover. In der Bäckerstraße 22 bewohnte er eine "herrschaftliche Wohnung mit Pferdestall für 3 Pferde und Wagenremise". Seine "nationale" Orientierung wird darin deutlich, dass er im Vorfeld des deutsch-dänischen Krieges Mitglied im "Comité für Schleswig-Holstein" war. Er stirbt im frühen Alter von 40 Jahren. Sein Grabstein – in Formensprache und Größe herausgehoben – spiegelt die gesellschaftliche Bedeutung des Mannes.

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L 1

Herz Behrendt, gestorben 1863

Der Grabstein des 1863 gestorbenen Onkels von Adolf Frank, des Getreidehändlers Herz Behrendt
(L 1), weist starke Spuren der Zerstörung auf.

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M 4

Friederike Leszynsky, gestorben 1876

Friederike Leszynsky stammte aus einer alten Hamelner jüdischen Familie. Ihr Vater, Leser David Adler, war Trödelhändler gewesen, also wenig begütert. Ihr Ehemann, Josua Leszynsky, stammte aus Polen und war über viele Jahre lang Lehrer der Gemeinde.

Die Eheleute besitzen ein Haus in der Neuen Marktstraße, wo sich auch die kleine jüdische Schule befindet. In der Zeit der Emanzipation führt Josua Leszynsky die Gemeinde konsequent auf einen Reformkurs. In seine Zeit fällt die Einführung der deutschen Sprache in den Synagogengottesdienst. Anlässlich einer "Konfirmation" (von bar Mizwa bzw. Bat Mizwa wird nicht mehr gesprochen) im "Tempel" werden deutsche Choräle mehrstimmig gesungen. Seit dieser Zeit gibt es das Gebet für den König und später den Kaiser als festen Bestandteil jedes Gottesdienstes.

Josua Leszynsky stirbt hochbetagt im Jahre 1893. Sein Grabstein existiert nicht und muss der Zerstörung des Friedhofes zum Opfer gefallen sein.

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O 2 und O 3

Theodora Bürger, gestorben 1883 (links)

Marianne Dessa, gestorben 1892 (rechts)

Die Eheleute Eva und Samuel Bürger hatten sieben Kinder, davon sechs Töchter. Dass von diesen Töchtern fünf unverehelicht blieben, ist für damalige Verhältnisse nichts besonderes. Die "Jungfrau" Theodora Bürger ernährte sich mit Privatunterricht. Neben ihr liegt Marianne Dessa, eine Schwester des jüdischen Arztes Dr. Adolf Ferdinand Dessa geheiratet, der zunächst in Hemeringen, später in Hameln praktizierte.

Heinrich Bürger, ein Bruder von Theodora und Marianne, verlässt Hameln früh und geht in das damals niederländische Java. Ausgedehnte Reisen führen den als Botaniker tätigen Mann u. a. in das damals für Fremde unzugängliche Japan. Heinrich Bürger wird für seine Verdienste von der niederländischen Regierung mit dem Ritterorden des Niederländischen Löwen geehrt. Zu dieser Zeit ist er längst zum christlichen Glauben konvertiert.

Die Steine zeigen eine gotische Form. Beide sind bei der Zerstörung zerbrochen und wurden bei der Wiederherstellung des Friedhofes verkürzt in den Boden gesteckt.

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P 5

Emilie Stern, gestorben 1890 (rechts)

Der als Rundplastik gestaltete obeliskartige Stein ist typisch für die Zeit des Kaiserreiches.

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Q 2, 10

Hermann Oppenheimer, gestorben 1900

Henriette Oppenheimer, gestorben 1927

Toni Oppenheimer, gestorben 1931 (auf dem Kissenstein)

Hermann Oppenheimer war Musiker, Musikalienhändler und Veranstalter von Konzerten und lebte mit seiner Frau in der Osterstraße.

Es handelt sich um einen der ersten Ehegattensteine. Bis dahin war es üblich gewesen, Gestorbene streng nach dem Todesdatum zu bestatten, so dass Ehegatten in der Regel nicht zusammen lagen. Um 1900 wurde auch das eingegrenzte Gräberfeld eingeführt.

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S 10/11

Carl Michaelis, gestorben 1907

Friederike Michaelis, gestorben 1917

Carl Michaelis übernahm die Tabaks- und Wattenfabrik seines Vaters. Er heiratete eine "eingesessene" Hamelner Jüdin, Friederike Oppenheimer und besaß ein Haus auf der Osterstraße. Er war über 30 Jahre lang Vorsteher der jüdischen Gemeinde (1983-1907). In seine Amtszeit fallen viele wichtige Unternehmungen und Entscheidungen, so der schwierige und langwierige Neubau der Synagoge im Jahre 1879 und die fast gleichzeitige Erweiterung des Friedhofes im Jahre 1880.

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U 7 und V 10

Naftula Engelsheim, gestorben 1919 (oben)

Benzion Kowal (Sterbedatum verderbt, unten)

Die beiden Grabsteine sind russischen Soldaten jüdischen Glaubens gewidmet. Während und auch noch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges waren in dem großen Kriegsgefangenenlager am Wehl zahlreiche russische Soldaten interniert. Hunderte von ihnen starben und wurden auf dem damals sogenannten "Russenfriedhof" am Wehl bestattet. Soweit sie jüdischen Glaubens waren, begrub man sie auf dem Hamelner jüdischen Friedhof. Von ca. zehn Soldatengräbern, die alle einheitlich gestaltet waren, haben sich nach der Zerstörung des Friedhofes nur diese beiden erhalten.

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Y 1/2

Nathan Blancke, gestorben 1916

Natalie Blancke, gestorben 1919

Dieser Stein (links) ist der erste in der damals neu angelegte "Ehrenreihe". Hier wurden Personen bestattet, die sich gegenüber der Gemeinde besondere Verdienste erworben hatten, sei es durch ihre Wohltätigkeit, sei es durch besondere religiöse Funktionen. Es fällt auf, dass die eigentlich zwingend vorgeschriebene Ausrichtung der Steine nach Osten hier vernachlässigt wurde. Der Stein zeigt die Formensprache der Kaiserzeit und vereinigt mit "Magen David" und Mäanderband antike und jüdische Symbole. Der Magen David ist hier nicht das Symbol der nationalen zionistischen Bewegung, sondern konfessionelles Zeichen.

Das "Bank- und Wechselgeschäft" von Nathan Blancke befand sich in der Osterstraße 13.

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Y 3/4

Henriette Goldmann, gestorben 1916
Leo Goldmann, gestorben 1927

Dieser Stein für die Kaufleute Goldmann ist der zweite in der Ehrenreihe. Abgesehen von der hebräischen Schrift verzichtet der Stein auf jegliche jüdische Ornamentik bzw. Symbolik.

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Y 6 und Y 7/8

Moses Katzenstein, gestorben 1919 (oben)

Meyer Katzenstein, gestorben 1926 (unten)

Die beiden Grabsteine, die jeweils das Symbol der Priesterhände zeigen, gehören zwei Brüdern, die aus dem Weserdorf Hehlen stammen, um die Jahrhundertwende nach Hameln kamen und hier als Händler und Rechtsanwälte arbeiteten.

Dass diese Grabsteine erhalten sind, ist Dr. Ernst Katzenstein zu verdanken, dem Sohn von Moses Katzenstein. Als US-Offizier hielt er sich nach Kriegsende mehrmals in Hameln auf. Den zertrümmerten Grabstein seines Onkels Meyer zog er in Teilen aus einem Steinhaufen heraus, der zum Abtransport bestimmt war und zum Wegebau auf dem Friedhof Wehl dienen sollte. Er ließ den Stein wieder zusammensetzen und aufstellen. Den Stein seines Vaters fand er hingegen nicht. Dem US-Offizier war es möglich, die Stadt Hameln zu bewegen, diesen Stein neu anfertigen zu lassen.

Der Stein von Meyer Katzenstein, ein Ehegattenstein, weist ein Merkmal auf, das jüdische Steine aus dieser Zeit häufig zeigen: Das Feld der Ehegattin ist leer. Sie ist in den Vernichtungslagern des Ostens verschollen.

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Y 12

Max Frankenstein, gestorben 1923

Max Frankenstein war Getreidehändler und besaß das große Haus Ecke Neue Marktstraße 13/Hummenstraße. In diesem Haus richtete die Stadtverwaltung Hameln 1939 eines der beiden "Judenhäuser" ein, in denen die jüdischen Menschen unter beengten und unwürdigen Bedingungen leben mussten, bis sie 1942 deportiert wurden. Der Stein zeigt deutlich Spuren der Zerstörung.

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Y 15/16

Goldstein – Herzberg

Es handelt sich um einen Sammelgrabstein der Familien Goldstein, Herzberg und Birnbaum, die in Hameln Fabrikanten, Ärzte und einen Pferdehändler stellte. Der von einem bedeutenden Berliner Bildhauer angefertigte Grabstein wurde zerstört und nach dem Kriege durch eine schlichte Neuanfertigung ersetzt.

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Y 18

Salomon Bachrach, gestorben 1926

Salomon Bachrach war lange Jahre Religionslehrer der Hamelner jüdischen Gemeinde gewesen. Er verkörpert als Person das Programm des "Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens". Die in Deutschland lebenden Juden verstehen sich als Deutsche. Ihr Judentum ist ihnen Konfession, kein nationales Merkmal. Ihre "Assimilation" ins "Deutschtum" betrachten diese Menschen als erfolgreich, als abgeschlossen.

Gegenüber dem Antisemitismus, der schon in der Kaiserzeit und in den Jahren der Weimarer Republik immer wieder aufbrach, betonte Bachrach die staatstreue Gesinnung der deutschen Juden und die im Kriege für Deutschland erworbenen Verdienste.

Die Gemeinde hat sein Ansehen sehr hoch gehalten, so dass sie ihm einen Stein in der Ehrenreihe aufstellte.

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© Bernhard Gelderblom Hameln