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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Die Vernichtung jüdischen Lebens - 1933 bis 1945

"Judenpolitik" in den Händen der Verwaltung.
Die Jahre 1938-1942

Die Eheleute Paula und Karl Bernstein

Karl Bernstein war Eigentümer des großen Manufakturwarengeschäftes am Münsterkirchhof 13. Er hatte das Geschäft in den zwanziger Jahren über zwei Etagen ausgebaut.

Bernstein-Haus
Das Geschäftshaus von Bernstein vor dem
Ausbau in den 1920er Jahren (Quelle Stadt-
archiv Hameln)

Gegen alle Anfeindungen hielt er sein Geschäft bis in das Jahr 1938 offen.

Seit Mai 1938 planten Bernsteins ihre Auswanderung. Das Ehepaar wurde deswegen auf der Liste der Hamelner Juden geführt, die der "Reichsfluchtsteuer" unterliegen. Nach dem "Devisengesetz" waren die Behörden berechtigt, gegenüber auswanderungswilligen Personen eine "Sicherungsanordnung" vorzunehmen, um die "Abwanderung jüdischen Vermögens ins Ausland" zu verhindern. Bernsteins mussten eine "Sicherungshypothek des Finanzamts Hameln in Höhe von 57.000 RM" stellen.

Anfang November 1938 machten Bernsteins den ersten Versuch, Geschäft und Grundstück zu verkaufen. Der Vertrag mit Felix Holtmann sah einen Gesamtpreis von 190.000 RM vor.

In der Nacht des 9. November wurde das Geschäft geplündert. Am nächsten Morgen hielten SA-Männer Wache vor dem demolierten Geschäft, um weitere Plünderungen zu verhindern. Unter Aufsicht eines Vertreters der Kreissparkasse wurde das umfangreiche Warenlager abtransportiert und das Geschäft liquidiert.

Diese Ereignisse verhinderten den Vollzug des Kaufvertrages mit Holtmann. Bernstein wurde in das KZ Buchenwald verschleppt. Das außergewöhnlich wertvolle Warenlager wurde an Hamelner Einzelhändler verkauft.

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Am 16. Dezember 1938 – Karl Bernstein war zu dieser Zeit noch in Buchenwald – erließ der Oberfinanzpräsident in Hannover eine "Sicherungsanordnung".

Den Juden Karl und Paula Bernstein "wird untersagt, ohne meine Genehmigung über ihr inländisches oder ausländisches Vermögen zu verfügen. Gründe: Bernsteins sind Juden und wollen auswandern. Um zu verhindern, dass dabei Vermögenswerte widerrechtlich der Devisenbewirtschaftung entzogen werden, ist die Anordnung geboten."

Schreiben Seite 1
Schreiben
Schreiben
Schreiben des Oberfinanzpräsidenten Hannover an die Stadt Hameln vom
16.12.1938 betr. Sicherungsanordnung über das Vermögen von Karl und Paula
Bernstein (Quelle Hauptstaatsarchiv Hannover)

Geld zum Lebensunterhalt erhielt das Ehepaar grundsätzlich nur auf mehrfache Nachfrage und mit mehrwöchiger Verspätung.

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Im März 1939 – Bernstein war aus dem KZ zurück – gelang endlich der Verkauf von Haus, Grundstück und Geschäft. Käufer war eine Gemeinschaft von sieben Hamelner Kaufleuten. Der Kaufpreis betrug nur noch 95.000 RM. Der Regierungspräsident in Hannover genehmigte den Vertrag unter der Auflage, dass der Erlös in voller Höhe auf ein Sperrkonto zu zahlen war.

Das Vermögen der Bernsteins in Höhe von gut 220.000 RM weckte Begehrlichkeiten. Von nun an wurden die Eheleute von allen Seiten finanziell unter Druck gesetzt. Die nächsten Monate folgte eine regelrechte – teilweise nur fadenscheinig gesetzlich bemäntelte – Ausplünderung. Sie mussten die sog. "Sühneleistung" in Höhe von 34.000 RM bezahlen.

Anfang Juni 1939 war Karl Bernstein erneut in Haft, diesmal in Hameln. In zwei Briefen an die Hamelner Kriminalpolizei hatte er versäumt, den zusätzlichen Vornamen "Israel" zu benutzen. Nachdem er mehrere Wochen in Untersuchungshaft gesessen hatte, lautete das Urteil des Hamelner Schöffengerichts auf 200 RM Geldstrafe. Eine Gefängnisstrafe von 10 Tagen habe er durch die Untersuchungshaft verbüßt. Der Staatsanwalt begründete die hohe Strafe folgendermaßen:

Bernstein habe "die klare Trennung zwischen Judentum und deutschblütigen Menschen trotz der Verordnung nicht beachtet". Nach der "Kennzeichen-Verordnung", die "dem Abwehrkampf gegen das Judentum" dient, "soll sich jeder Jude als Jude ausgeben, sowohl im Rechts- als auch im Geschäftsverkehr".

Namensänderung
Der Antrag von Karl und Paula Bernstein auf Führung des zusätzlichen Vornamens
Israel bzw. Sara (Quelle Stadtarchiv Hameln)
Prozessbericht
Bericht über den Prozess gegen Bernstein in der NTZ Weserbergland
vom 7.6.1939

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Im August 1939 rückte die Realisierung der Auswanderung näher. Bernstein schrieb "an den Herrn Oberfinanzpräsidenten in Hannover":

Schreiben an Oberfinanzpräsidenten
Schreiben von Karl Bernstein an den Oberfinanzpräsidenten vom 18.8.1939
(Quelle Hauptstaatsarchiv Hannover)

Zu diesem Zeitpunkt verfügten Bernsteins noch über ein Vermögen von 140.000 RM. Für die Ausreise waren weitere Ausgaben nötig. Nach Abzug der "Reichsfluchtsteuer" in Höhe von 34.500 RM und den Zahlungen für Pässe, für Verpackung und Beförderung des Umzugsgutes und für die Schiffspassagen waren noch 82.000 RM vorhanden. Innerhalb von 10 Monaten war das Vermögen von 220.000 RM auf 82.000 RM geschrumpft.

Im Oktober 1939 schienen die Vorbereitungen für die Auswanderung kurz vor dem Abschluss zu stehen. Bernsteins reichten den zwölfseitigen Antrag auf Mitnahme von Umzugsgut bei der Devisenstelle Hannover ein. Für das zur Mitnahme genehmigte Umzugsgut im Schätzwert von 5.086 RM mussten sie eine "Ausgleichsabgabe" von 1.863 RM abführen. Auch die Notwendigkeit zur Mitnahme ihrer Brillen musste durch einen Augenarzt bestätigt werden.

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Das Schreiben des Oberfinanzpräsidenten
Schreiben des Oberfinanzpräsidenten an Karl Bernstein vom 24.3.1939 seine
Auswanderung betreffend (Quelle Hauptstaatsarchiv Hannover)

Im November 1939 überwies ein Geldinstitut im Auftrag von Bernstein 45.000 RM für zwei Schiffspassagen dritter Klasse von Genua nach Valparaíso. Die Ausreise wurde für den 16. Dezember 1939 angesetzt.

Die Ausreise scheiterte im letzten Moment, da Chile im Dezember 1939 eine Einwanderungssperre verhängte. Karl und Paula Bernstein wird die Flucht aus Deutschland nicht mehr gelingen. 1942 wurden die Eheleute nach Riga deportiert und sind dort verschollen.

Auf einem Sperrkonto der Sparkasse des Kreises Hameln-Pyrmont blieb ein Restguthaben von 26.860 RM, das als "feindliches Vermögen" vom Finanzamt Hameln beschlagnahmt wurde.

Das bisherige jüdische Warenhaus am Münsterkirchhof übernahm die "Kultur-Heimatgemeinschaft Bückeberg e.V." und errichtete darin ein "Haus der Heimatkunst".

Bernstein-Haus 1990
Das ehemals Bernsteinsche Haus heute

In den letzten Kriegstagen wurde das ehemals Bernsteinsche Haus total zerstört.

Der Neubau nach dem Krieg hat alle Erinnerung an das Manufakturwarengeschäft Bernstein getilgt.

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© Bernhard Gelderblom Hameln